Hektor nennt es Gemüse. Ich nenne es Kunst.
Und irgendwo dazwischen flackert ein Kürbis, der vielleicht ein bisschen zu lebendig wirkt …
Ich schwöre, Hektor kann mit einem einzigen Blick ganze Festtage beenden.
Gerade steht er im Eingang seiner Höhle, die Arme vor der Brust verschränkt, und starrt auf meinen wunderschön geschnitzten Kürbis, als hätte ich ihm gerade eine tickende Zeitbombe auf den Tisch gestellt. „Was“, sagt er schließlich mit dieser gefährlich ruhigen Stimme, „soll das sein?“ „Dekoration.“ Ich schiebe die Kerze ein Stück tiefer in den ausgehöhlten Kürbis. „Morgen ist Halloween. Oder Samhain, wie du das wahrscheinlich nennst.“
Er tritt näher, und das Licht flackert über sein Gesicht – dieses ernste, archaisch schöne Gesicht, das aussieht, als wäre es direkt aus einer keltischen Legende gefallen. Habe ich euch schon erzählt, dass er in seiner menschlichen Gestalt einfach nur … aber lassen wir das. „Samhain ist kein Anlass, um Gemüse* anzuzünden, Ka.“
Ich stemme die Hände in die Hüften. „Gemüse? Das ist Kunsthandwerk! Außerdem – früher hat man Rüben genommen. Ich machte das als Kind auch. Willst du wissen, wie schwer es ist, eine Zuckerrübe auszuhöhlen?“
„Ich erinnere mich“, murmelt er, als wäre er tatsächlich dabei gewesen. „Die Kelten glaubten, dass das Licht die Toten fernhält. Oder sie anlockt, je nach Absicht.“
„Und was glaubst du?“ frage ich ihn herausfordernd.
Er kommt näher, und seine Augen funkeln im Kerzenschein. „Ich glaube, du solltest das Licht morgen Nacht besser draußen lassen.“
Ich grinse. „Weil sonst die seelensuchenden Toten kommen? Oder weil du Angst hast, sie könnten dich mit einem Kürbis verwechseln?“
Er zieht langsam eine Augenbraue hoch. Das ist Hektors Version von: Ich bin kurz davor, dich übers Knie zu legen – oder den Rasen zu verkohlen.
„Weil sich morgen Nacht die Grenze zwischen den Welten öffnet“, sagt er leise. „Und weil du eine unverschämte Neugier besitzt.“
„Ich nenne es Forscherdrang.“
„Ich nenne es Leichtsinn.“
„Ich nenne es langweilig, alles immer so ernst zu nehmen.“ Gerade muss ich einfach das letzte Wort haben.
Demonstrativ drehe ich mich wieder zu meinem Kürbis um – und genau in diesem Moment flackert das Licht im ganzen Raum.
Der Kamin zischt, ein Windstoß fährt durch die Höhle – keine Ahnung, wo der plötzlich herkommt, und ausgerechnet jetzt fällt irgendwo hinten ein Buch aus dem Regal. Ich zucke zusammen, und Hektor … Hektor sieht einfach nur gelangweilt aus.
„Sag ich doch“, meint er.
„Das war Zufall!“
„Nein, die Grenze wird bereits dünner“, murmelt Hektor.
Er hebt das Buch auf, während die Kerze im Kürbis plötzlich von selbst aufflammt – heller als zuvor, glühend rot, fast wie Kohle.
Ich blinzele. „Na wunderbar. Jetzt habe ich Jack O’Lantern persönlich eingeladen.“
Hektor stellt das Buch ab und lächelt. Dieses langsame, unverschämt souveräne Lächeln, bei dem mir regelmäßig einfällt, dass er nicht ganz menschlich ist.
„Wenn Jack den Weg hierher findet, darf er sich gern dazusetzen. Ich habe Kekse.“
„Natürlich hast du Kekse“, murmle ich und lasse mich auf das riesige rote Kissen neben seinem Stuhl fallen.
„Du hast immer Kekse, weil ICH dir IMMER welche BACKE.“
Er setzt sich ebenfalls, die Kerze flackert ruhig weiter, als wäre nichts gewesen.
„Samhain, Kleines, ist kein Tag für Furcht. Es ist ein Tag der Erinnerung. Und der Geschichten.“
Ich drehe mich zu ihm, lehne mich mit dem Ellbogen auf den Kissenrand.
„Dann erzähl mir eine.“
Er hebt eine dunkle Braue. „Eine über Geister?“
„Nein. Über dich.“
Für einen Moment herrscht Stille. Nur das Feuer knackt, und irgendwo draußen rauscht der Wind um die Burg. Ich könnte schwören, dass er lacht – dieser schelmische, ferne Wind, der nach alten Zeiten und Magie klingt.
Und Hektor?
Er sieht mich an, als wäre ich die einzige Geschichte, die er je erzählen will.
© Ka, Meine tägliche Dosis vom 30.10.2025. Alle Rechte (und Drachen) vorbehalten.

* Um dem Aufschrei gleich entgegen zu wirken! Mir ist sehr wohl bewusst, dass ein Kürbis botanisch gesehen zum „Obst“ gezählt wird, aber kulinarisch gehört er einfach — wenn jemand anderer Meinung ist, darf er diese natürlich gerne haben 😀 — zum Gemüse. Ergo steht oben Gemüse. Außerdem macht sich Gemüse an dieser Stelle definitv besser als Obst! LOL