Blog Hektor

Nächtliche Überraschung!

  • 20. Februar 2020

Geneigte Leserinnen und Leser!

Ihr erinnert Euch, ich war mit meinem Leserunde-Kumpel Mike im „Sin“ verabredet und was soll ich sagen, er ist ein toller Tänzer. Himmel, der Kerl hat Rhythmus im Blut, das kann ich Euch sagen! Nur schade für die Damenwelt, dass Mike stockschwul ist. Aber egal, so toll er auch aussieht, er ist optisch nicht mein Typ. Wenn Hektor kein Drache sondern ein Mann wäre, oh ja, das wäre meine Kragenweite, jedenfalls in meiner Vorstellung! Mir entschlüpft ein sehnsüchtiger Seufzer, der allerdings von etwas extrem Zickigen unterbrochen wird. „Du solltest deine Vorstellung runter schrauben und dich um die realen humanoiden Männer kümmern, Ka!“ Da, schon wieder diese doofe innere Stimme. Als ob Hektor nicht real wäre. Mann! Die geht mir sowas von auf den Sack. Von so einer Zimtziege lasse ich mir meine Gedanken an Hektor sicherlich nicht madig machen.

Gerade schließe ich die Türe zur Eingangshalle hinter mir ab, als mich jemand brüsk aus dem Schatten heraus anknurrt „Du riechst nach ihm!“ Erschrocken mach ich einen Satz. Ich dachte eigentlich, ich hätte das Nachtlicht angemacht, als ich zu meiner Verabredung mit Mike aufgebrochen war. Seltsam. „Himmelarschundzwirn, Hektor! Kannst du nicht einmal damit aufhören, mich zu erschrecken? Dann auch noch im Dunkeln!“, motze ich Richtung der Stimme. „Warum ist das Licht aus, Drache?“ Wie aus dem Nichts bildet sich ein paar Meter von mir entfernt eine Flamme. Wow, mein Drache kann Flammen auf seiner Handfläche erzeugen. Das ist mir neu! … wie? Auf seiner Handfläche? HAND? Irritiert kneife ich mich in den Nasenrücken und presse die Augen zusammen um mich zu vergewissern, dass ich nicht halluziniere. Doch egal wie stark ich auch drücke, die Hand samt Flamme bleibt eine Hand und wird nicht zur gewohnten Drachenpranke. Keine Pranke. Kein Drache. Kein Hektor?
Mein Atem stockt und ich habe Probleme zu schlucken, als ich dem flackernden Licht nach oben über eine breite Brust folge. Ich merke, wie meine Augen größer und größer werden. Um den Hals des Mannes windet sich ein im Lichtkegel golden schimmernder Torques, welcher aus dem V-Ausschnitt eines schwarzen Shirts hervor blitzt. Das mangelnde Licht hindert mich jedoch daran zu erkennen, welche Endstücke der offene Halsring hat. „Hektor? HEKTOR!“, rufe ich in die Stille. Wo ist der Drache, wenn man ihn braucht. Allmählich kriecht mir Angst in die Glieder. Trotzdem wandert mein Blick weiter Richtung Gesicht des Kerls. Die flackernde Flamme wirft von unten verzerrte Schatten auf sein Konterfei, und verleiht ihm furchterregende, dämonische Züge. OMG! Nicht auch noch Dämonen. Es reichen doch schon Drachen! Fehlen nur noch Vampire, Werwölfe und Zombies, dann ist der Wahnsinn perfekt. Ich merke panisch, dass mein Verstand kurz davor ist zu kollabieren. Nicht gut, gar nicht gut!
Hektor ist mein rettende Gedanke, mein Anker. Allein die Erinnerung an ihn sorgt dafür, dass ich nicht durchdrehe. Ich muss meinen Hektor finden! Mit fliegender Hast rase ich auf die offene Türe zu, die den Gang zu Hektors Drachenhöhle verbirgt und in entgegengesetzter Richtung zu diesem Unbekannten liegt. Dabei gestatte ich mir keinen Blick zurück in Richtung des Dämons, denn bei meinem Glück *ironiemodus aus* würde ich glatt über meine eigenen Beine stolpern und Kopf voran die Treppe hinunter fallen. Schon höre ich laute, stampfende Schritte, die mir stürmisch folgen. Der teuflische Verfolger brüllt mir etwas nach, aber in meiner kopflosen Angst, verstehe ich kein Wort davon.

Ich haste nach unten und meine den heißen Atem meines Verfolgers am Hals zu spüren. Prompt stellen sich die feinen Härchen in meinem Nacken auf und ich merke, wie mein Körper von einer meterhohen Gänsehaut überzogen wird. „Hektor! Hilf mir doch!“, mit diesem verzweifelten Aufschrei erreiche ich den Fuß der Treppe und laufe quer durch die Vorhalle zu Hektors Höhle. Hektisch reiße ich die Tür zu seinem Domizil auf, will sie schnell hinter mir zuknallen und verriegeln, als sich ex abrupto eine große schwarze Stiefelspitze zwischen Rahmen und Türblatt schiebt. Verfluchter Dreck! Fieberhaft blicke ich mich um, doch von Hektor keine Spur. Ich lasse von meinem nutzlosen Versuch die Türe zu zu stemmen ab und halte parallel Ausschau nach etwas, das ich als Waffe benutzen kann. Doch alles was mir ins Auge fällt, sind die Folianten von Hektor. Rückwärts gehend, immer einen Blick auf die sich öffnenden Eingang richtend, bewege ich mich auf die Bücherregale zu. Als die alten schmiedeeisernen Scharniere der Tür zusätzlich ein heißeres, knarzend-quietschendes Ächzen von sich geben, ist mein persönlicher Horrormoment perfekt!
Die ungezügelte Angst lässt sich nicht länger unterdrücken und breitet sich wellenartig in mir aus. Panisch hebt sich mein Brustkorb unter schnappenden Atemzügen. Es ist, als würde ich ersticken und ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis ich zu hyperventilieren beginne. Schnell greife ich nach einem der schweren, in Leder gebundenen Folianten und halte das Buch wie ein Schutzschild vor meinen Körper, bereit es notfalls dem Fremden um die Ohren zu hauen.
Hier unten ist genug Licht, so dass ich freie Sicht auf den Eindringling habe, der inzwischen mit festen Schritten die Drachenhöhle betreten hat. Seine Augen huschen durch den Raum und bleiben letztendlich an mir hängen. Seine Nasenflügel blähen sich auf und was ich nun sehe, raubt mir das letzte bisschen Atem, das noch in meinen Lungen ist. Er muss an die zwei Meter groß sein schießt es durch meinen Kopf, als er sich mir Stück für Stück nähert. Längst ist die Flamme in seiner Hand erloschen und ich stelle fest, dass er alles andere als ein Dämon ist. Jedenfalls würde ich mir einen Dämon nicht so vorstellen. Von Hörnern oder gar überproportionierten Reißzähnen ist nichts zu sehen. Aber was mag das schon heißen!

Je näher er kommt, desto mehr kann ich von ihm erfassen. Seine schiere Größe macht ihn beeindruckend, beängstigend. Die muskulösen Beine stecken in einer schwarzen, abgewetzten Hose die aussieht, als wäre sie aus Drachenleder genäht. Aus dem kurzen Ärmel des T-Shirts, das sich eng an einen eindrucksvollen Bizeps schmiegt, windet sich ein tätowierter langer, mit Platten bewehrter Schwanz um den Arm, dessen Spitze am Handrücken der linken Hand endet. Er wirkt lebensecht und es scheint, als würde er sich bewegen. Was mich schlußendlich in die Knie zwingt, ist nicht seine schiere Größe, oder sein rabenschwarzes Haar, dass er zu einem Undercut geschnitten trägt, während das lange Deckhaar wie das von Ragnar Lothbrok mit Bändern zusammen gefasst ist. Es ist auch nicht die markante Kieferpartie des Riesen, oder seine schmale Höckernase die dem gebräunten Gesicht eine aggressive Schärfe verleiht. Nein, was mich schlußendlich in die Knie zwingt sind seine Augen. „Hektors Augen …“, sind die letzten Gedanken die ich flüsternd von mir gebe, bevor mich allumfassende Schwärze umgibt. Ich bemerke nicht, dass mich starke Arme auffangen, und mich ein betörender Duft nach Zimt, Espresso und brennendem Holz umgibt, bevor ich wie ein nasser Sack auf den Boden knallen kann.

— © Ka, 20.2.2020 Meine tägliche Dosis

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