„Drache oder doch lieber Bücherdrache?“, murmle ich vor mich hin, während ich eine passende Headline in die Tastatur meines iMacs tippe.
„Was für eine Frage, Kleines. Natürlich Bücherdrache!“, gurrt mir Hektor leise ins Ohr. Doch schreckhaft wie ich bin, mach ich trotzdem einen Hüpfer auf dem Bürostuhl.
„Das wird allmählich zu deiner Lieblingsbeschäftigung, oder, Herr Bücherdrache? Dich an mich heranzuschleichen um mich ordentlich zu erschrecken?“ Ich drehe mich samt Stuhl um und sehe in die gletscherblauen Augen meines persönlichen, verführerischen Bücherdrachen, der in seiner unbeschreiblich Hot-And-Sexy-Man-Form vor mir steht. Ich frage mich echt wie lange es noch anhalten wird, dass ich jedesmal, wenn ich ihn so erblicke innerlich zu sabbern beginne. F.U.C.K.
„Du bist zu niedlich in deiner Schreckhaftigkeit, Kleines. Ich wollte eigentlich nur nachfragen, ob du Hilfe brauchst bei deinem Artikel über Drachen. Schließlich bin ich ein leibhaftiger.“ Hektors Augen funkeln und seine Mundwinkel heben sich, so dass seine etwas zu spitz geratenen Eckzähne deutlich sichtbar werden. Immer, wenn er lächelt, bilden sich tiefe Falten um seine Augen und den Mund, die ich einfach nur schön finde. „Du darfst mich darüber fragen, was du möchtest. Ich stehe dir Rede und Antwort, Ka. Was hältst du davon, wenn wir dazu in die Bibliothek gehen, da ist es gemütlicher als hier in deinem Büro, außerdem habe ich dort wesentlich mehr Platz.“ Hektor schnappt sich meine Hand, zieht mich aus dem Stuhl und hinter sich her, den langen Gang entlang zur Empfangshalle und von dort weiter zur Bibliothek deren hohe, torartige Doppeltüre geschlossen ist. Ich bin jedesmal begeistert davon, wie lebensecht die Schnitzarbeiten, die die Türflügel verzieren, ausgearbeitet sind. Wer auch immer dafür verantwortlich war, war ein wahrer Künstler. Abgebildet ist eine wunderschöne Drachenhöhle samt Drache und Bücher. Mit dem Drachen bin ich übrigens auf Kriegsfuß, ich fühle mich von ihm immer beobachtet. Es ist, als würden mir seine Augen, die aus je einem großen, glitzernden Smaragd bestehen, verfolgen. Eingebettet ist das Sujet in filigrane, florale Ranken, die sich drumherum fast lebendig schlängeln. Sogar die Sprossenachsen und Wasseradern der geschnitzten Blätter, die an den Ranken entlang wuchern, kann man mit bloßem Auge sehen. Anstatt mit Blüten, sind die Ranken mit unzähligen ins Holz getriebenen Drachenschuppen übersät, die farbig schillern und glänzen. Je nachdem wie das Licht auf sie fällt. Im Laufe der Zeit, hat das Holz eine Art Patina angesetzt, so dass es fast so dunkel wie Ebenholz ist. Hektor fasst nach dem massiven, antiken Türgriff, der durch die jahrhundertelange Benutzung wie glattpoliert wirkt und stößt die Türe auf. Ich selbst habe immer damit zu tun, sie aufzubekommen, da bereits eine der Flügeltüren sehr schwer ist. Doch für meinen Bücherdrache ist das ein Klacks, steht ihm doch seine Drachenkraft selbst in Menschengestalt zur Verfügung. Mit einem leisen Donnerhall macht Hektor den Türflügel hinter uns zu.
Weg von den Büchern – in einem riesigen Kamin an der Stirnseite der Bibliothek, in dem ohne Probleme ein Mann von Hektors Größe stehen kann, flackert ein gemütliches Feuer. Das ist tatsächlich nur der Gemütlichkeit wegen, denn die komplette Burg wird über eine Art Hypokaustum, wie es die alten Römer hatten, geheizt. Nur, dass Drachen keine Verbrennungsöfen brauchen, um die darin entstandenen, heißen Abgase durch die Rohleitungen zu jagen, sondern es reicht deren durch Magie erzeugtes Drachenfeuer. „Hektor, wie lange benutzt ihr eigentlich schon dieses Verbrennungssystem der Römer?“, will ich neugierig wissen.
Ein Schmunzeln zieht über Hektors Gesicht. „Du meinst das Hypokaustum? Eigentlich haben diese Idee die Römer von uns Drachen und nicht umgekehrt.“ Ich bin so baff, dass mir die Kinnlade nach unten fällt. Hektor lässt es sich nicht nehmen und schiebt mein Kinn mit den Fingerspitzen dahin zurück wo es hergekommen ist. „Es freut mich, dass ich dich überraschen konnte, Ka. Doch zurück zu uns Drachen, was möchtest du wissen?“, fragt Hektor, während er es sich auf einem der zwei breiten Sofas, welche je im rechten Winkel zum Kamin stehen, niederlässt. Lässig einen Arm auf der Rückenlehne, ein Bein angewinkelt auf dem Sitzbereich, während das andere auf dem Fußboden stehen bleibt. Währenddessen habe ich es mir in dem saubequemen großen Ohrensessel gemütlich gemacht, in dem ich an meinen freien Tagen, oder in den Pausen oftmals lese. Meine Schuhe sind schnell von den Füßen gestreift und die Beine halbschräg unter meinem Po angewinkelt. Vielleicht sollte ich das heute mit den Drache lassen und lieber in meinem aktuellen Buch weiterlesen oder vielleicht sogar ein kleines Bisschen schlafen? Alleine der Gedanke an Schlaf lässt mich in die Armbeuge gähnen.
„Hast du keine Lust mehr über die Drachenmythologie zu sprechen, Menschlein?“ Wissend blickt Hektor mich an. „Du willst lieber schlafen, habe ich recht?“
„Ja. Eigentlich schon. Draußen ist es ekelig kalt, der Wind peitscht den Regen an die Burgmauern und hier ist es soooo kuschelig warm. Jetzt fehlt nur noch ein Tässchen Pfefferminztee, eine mollige Decke und schon bin ich eingenickt.“ Bis ich weiß wie mir geschieht, holt Hektor eine Teetasse vom Tisch, der neben dem Sofa steht. Ich hatte beim Reinkommen gar nicht bemerkt, dass der Tisch eingedeckt war.
„Hektor! Du kannst Gedanken lesen!“, klar kann er, sofern er will. Wie ich des öfteren bereits bemerkt habe.
„Dieses Mal nicht, Kleines. Mir ist nur aufgefallen, dass du heute Nacht schlaflos durch die Gänge gegeistert bist. Was war los?“
„Erst habe ich bis in alle Puppen gelesen und dann konnte ich nicht schlafen, weil ich mich so sehr über die Übersetzung eines Buches geärgert hatte. Darum habe ich mir eine warme Milch mit Honig aus der Küche geholt, in der Hoffnung einschlafen zu können.“ Was nicht geklappt hatte. „Weißt du, es ist schrecklich, wie schlecht sich eine üble Übersetzung auf eine an sich tolle und ideenreiche Geschichte auswirken kann.“
„Was war es denn für ein Buch?“ Hektor nimmt sich ebenfalls eine Tasse Tee und wartet auf meine Antwort.
„Was Erotisches, welches im Sub-Genre Sience Fiction angesiedelt ist. Der Titel lautet `Der Kaiserin neue Kleider´ von der amerikanischen Autorin Jaid Black. Bereits im Titel ist neue nicht klein, sondern groß geschrieben“, seufze ich kerkertief. „Ich konnte es nur gebraucht bekommen, weil die deutsche Ersterscheinung bereits 2005 war“, informiere ich ihn weiter.
Während des Erzählens sind Hektors Augenbrauen nach oben gewandert. „… und du hast es samt der grottigen Übersetzung gelesen?“
„Jup.“
„Wie das, Kleines?“ Gespannt stellt Hektor die nun leere Tasse weg, er ist definitiv ein schneller Heißtrinker, und setzt sich auf dem Sofa näher in Richtung Ohrensessel. Ein Gespräch über erotische Literatur wirkt offensichtlich sehr sehr anziehend auf ihn.
„Willst du das wirklich wissen? Nicht, dass dir danach wieder Rauchwolken aus der Nase quillen“, merke ich an.
„Keine Rauchwolken, versprochen. Außerdem ist es schließlich ein erotischer Roman, was soll da schon passieren.“ Breitbeinig auf der Couch sitzend, während die Unterarme auf den Oberschenkeln liegen und die Hände wie zum Gebet gefaltet sind, fixiert er mich intensiv.
Über Bücher zu sprechen ist was Tolles, weswegen ich gerne zu erzählen beginne. „Es lag nicht nur daran, dass es teilweise wirklich humorvoll und skurril geschrieben war.“ Wenn ich nur daran denke, wie man auf dem Planeten Tryston Kinder bekommt! Ich muss sofort loslachen und erzähle es Hektor auch prompt, was dabei abgeht. Euch darf ich es leider nicht erzählen, ohne zu spoilern, geneigte Lesende, doch Hektor findet es … amüsant.
„Was hat dir noch gefallen?“, bohrt er auch schon nach.
„Es lag auch am Protagonisten, nämlich an Zor Qán Tal, dem Hohen König von Tryston und Kaiser der Mi Qán Galaxie. Er ist noch dazu der Hüter des Heiligen Sandes und der meist gefürchtetste Mann in sechshundert Galaxien und sieben Dimensionen!“, lege ich los.
„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Hüter des Heiligen Sandes?“ Plötzlich bricht Hektor in schallendes Gelächter aus. Dabei wirft er seinen Kopf nach hinten, so dass ich einen ungehinderten Blick auf seinen hüpfenden Kehlkopf habe. Habe ich schon gesagt, dass seine Eckzähne in solchen Situationen hervor blitzen? Unruhig rutsche ich auf dem Sessel herum und erzähle aufgeregt weiter. „Ja, des Heiligen Sandes. Daraus kann er sich nach Lust und Laune Sandnymphen formen, mit welchen er sich dann amüsiert. Sexuell, du verstehst?“
Hektor kann sich gar nicht mehr beruhigen „Sandnymphen? Bahahahahahaha! Dann hat er nach dem Sex wohl Sand im Getriebe, oder was?“, bricht es schadenfroh aus ihm heraus.
„Du bis unmöglich Hektor! Natürlich sind sie mittels seiner Magie aus Fleisch und Blut, wenn auch ihre Haut … bunt ist.“, gestehe ich kichernd. „Nämlich grün oder türkis. Ich sagte ja, humorvoll und skurril dieses Buch. Ich mag sowas.“
„Da kommt noch was, oder?“ Inzwischen hat sich Hektor einigermaßen von seinem Lachflash erholt.
„Nun ja, da kommt tatsächlich noch etwas, nämlich nochmal Zor Qán Tal. Er ist, wie soll ich das sagen, er ist der personifizierte Krieger. Ein Prachtexemplar von einem Mann“, schwärmerisch schließe ich die Augen um mir Zor Qán Tal besser vorstellen zu können, er erinnert mich dermaßen an Hektor, was meine Schwärmerei ordentlich Zündstoff gibt, wodurch fast Hektor vor meinem inneren Auge zum Leben erwacht. „Zor ist ein riesiger Kerl mit nachtschwarzen Haaren und Augen sooo blau und durchscheinend wie Gletschereis. Und sein Körper erst Hektor, er ist ähnlich wie der von di… !“ Ich räuspere mich umständlich, um den Vergleich nicht zu vervollständigen. Alles muss mein Drache nicht wissen. Es ist sowieso schon schwer genug meine Schwärmerei für ihn vor ihm zu verbergen. „Er ist kraftvoll, muskulös und seine Haut ist so samtig und golden braun, dass es in meinen Fingern kribbelt, wenn ich mir vorstelle, dich … ich meinte … sie zu berühren.“ Noch während des Sprechens der letzten Worte, werden diese von einem lauten reißenden Geräusch überlagert, welches mich abrupt aus meiner Schwärmerei katapultiert und die Augen öffnen lässt. Mein Blick fällt auf das wie leer gefegte Sofa. Das einzige, das darauf hinweist, dass bis vor wenigen Augenblicken Hektor darauf gesessen hat ist die Druckstelle seines Hinterns, die auf dem knautschigen Leder zurück geblieben ist sowie Kratzspuren auf den Armlehnen, die eindeutig scharfe, lange Drachenkrallen hinterlassen haben. Von Rauchschwaden dieses Mal tatsächlich keine Spur …
Oh-oh! Da haben wohl nicht nur mir die Finger gekribbelt, sondern auch Hektor! Himmel, dieser Drache. Kein Sinn für humorige und skurrile Geschichten … :3
© Copyright by Ka, Meine tägliche Dosis 23.03.2024. Alle Rechte vorbehalten
Ich gehe dann mal und suche in den „Gelben Seiten“ nach einem heimischen Sattler. Ihr wisst schon, wegen des Sofas. Schlafen kann ich auch später …
Ka