Blog Hektor

Drachen und ihr Faible für erotische Literatur

  • 12. April 2024

Geneigte Lesende.

Ich tippe gerade an einem Erfassungsbogen eines Buches, welches ich in den unendlichen Weiten von Hektors Bibliothek gefunden habe, als ich es knistern höre. Mit gespitzten Ohren bemerke ich, dass das Knistern näher kommt und vom Rhythmus stampfender Schritte in schweren Bikerstiefeln begleitet wird. Langsam rolle ich meinen Bürostuhl nach hinten, stehe auf um aus der offenen Türe zu linsen. Ich stecke nur den Kopf hinaus und sehe Hektors Bruder Malik durch den langen Gang stürmen. Um dessen Kopf sprühen und knistern kleine Feuerfunken, während seine zu Fäusten geballten Hände im Einklang mit seinen Schritten hin- und her schwingen. Er macht insgesamt einen mächtig derangierten Eindruck und sein Gesicht ist zu einer grimmigen Maske verzogen. Ein Hemdzipfel hängt aus seiner um die Hüften eng anliegenden Jeans und ein paar der oberen Knöpfe stehen offen, was mir einen Blick auf seine stattliche Brust beschert. Nicht das ich linsen würde. Hust. Kurz erwäge ich die Flucht einzuschlagen als ich in seine Augen blicke, denn sie haben komplett ihre Form verändert. Anstelle runder Pupillen, sehe ich langgezogene. Anstatt eines sanften Glitzern blitzt die smaragtgrüne Iris wütend, als er an mir vorbei stiefelt. Klügererweise sollte ich den Rückzug anzutreten, doch ich trete ganz aus dem Zimmer. „Malik, was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, frage ich nach. Stoisch stürmt er weiter, so dass ich mich gezwungen sehen ihm hinterher zu laufen, was mir bei seinen ausufernden Schritten nicht erspart bleibt. Als ich ihn erreiche hänge ich mich an seinem linken Arm und versuche Schritt zu halten. „Kann ich dir irgendwie helfen, Malik? Hat dich etwa Hektor geärgert?“ Allmählich komme ich bei dem Affenzahn, den er vorlegt aus der Puste. Denn inzwischen hechtet er die Treppenflucht in den zweiten Stock hinauf, wo sich sein Zimmer befindet. Ohne meine Fragen zu beachten, stürmt er auf die Zimmertüre zu, reißt sie auf, zieht mich hinter sich her und schließt die Türe mit einem lauten Knall.

„War das eben nicht etwas pubertär?“ Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen als Malik pikiert seine Hände in die Hüften stemmt. „Pubertär? Mitnichten, Ka! Einzig das Verhalten meines lieben Bruders Hektor ist PUBERTÄR!“ So etwas wie ein gebrülltes „Idiot cenfigennus“, folgt dieser Aussage, aber ich habe keine Ahnung, was das im Zusammenhang mit Idiot heißt. Trotzdem lasse ich Malik weiter lärmen in der Hoffnung, dass es  ihm danach besser geht. „Er ist ein Arsch gyda chlustiau, jawohl, das ist er!“ Schnaubend lässt er sich nach seiner Schimpftriade in einen der drei großen Sessel fallen, die gefällig in der Ecke des riesigen Zimmers um einen Tisch herum arrangiert sind. Ich folge ihm und setzte mich auf die Chaiselongue die das Ensemble vervollständigt.
„Wie es aussieht, geht es dir jetzt besser. Deine Augen sehen wieder menschlich aus und die knisternden Funken sprühen auch nicht mehr so stark um deinen Kopf herum, auch wenn das eigentlich recht niedlich aussieht …“ Schmunzelnd lasse ich meinen Blick um seinen Kopf herum wandern, wo vereinzelte Funken in seinen Haaren ihr Unwesen treiben. Hektor hat mir mal erzählt, dass ihre Körper selbst in menschlicher Gestalt nicht entzündbar wären, was an ihren Drachengenen liegt.
Maliks rechter Mundwinkel zuckt nach oben und er wuschelt sich durchs Haar, um die restlichen Funken zu vertreiben, die davon stoben und verglühen. „Kannst du mir nun erzählen, was eben los war?“, will ich von ihm wissen.
„Es fing alles total harmlos an. Wir haben uns über Bücher“, was sonst „unterhalten. Kannst du dich an unser letztes Buchtreffen erinnern? Jamie hatte doch so begeistert von diesem neuen Autor erzählt, der fundiert über die Walisische Geschichte schreibt und ich wußte, ich muss mir eines seiner Bücher gönnen. Also habe ich das Hektor gegenüber erwähnt.“ Ohje, ich hoffe nicht, dass er jetzt das sagt, was ich vermute. Leider liege ich sowas von richtig. „Jedenfalls erzählte ich ihm auch, dass du mit dem Lesen eines Kapitels aus einem erotischen Buch dran warst, welches unser Buch-Thema des Abends war.“
Inzwischen bin ich vor Aufregung ganz nach hinten an die Lehne der Chaiselongue gerutscht, so dass meine Beine den Boden nicht mehr berühren. Während ich nervös mit den Zähnen meine Unterlippe malträtiere, schnappe ich mir eines der Kissen und drücke es gegen meine Brust. Malik erzählt weiter. „Wie dem auch sei, als ich sagte, dass du eine erotische Passage vorgelesen hast und mir dabei fast die Sicherungen durchgebrannt sind, weil du das so herrlich erotisch intensiv gesprochen hast, ist er plötzlich ganz still geworden. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass das die Ruhe vor dem Sturm war?“ Frustriert zuckt er mit den Schultern und berichtet, dass sich Hektor plötzlich in null Komma nichts in seine Drachengestalt verwandelt hat und einen Feuerstoß auf ihn los lies. Zum krönenden Abschluss hat er den armen Malik tatsächlich am rechten Fußknöchel gepackt und nach oben gezogen, so dass er mit dem Kopf nach unten hing und ihn durchgeschüttelt. Kein Wunder, dass er so derangiert aussieht. Während Maliks Welt auf dem Kopf stand, schrie Hektor ihn auch noch an! Auf meine Frage hin, was genau er denn von sich gegeben hatte, meint Malik: „Glaub mir, das willst du nicht wissen!“
„… und wie ich das wissen will. Es kann nicht angehen, dass er sich so aufspielt. Du bist schließlich sein Bruder“, beende ich den Satz.

„Schon“, verwahrt sich Malik. „Kann es sein, dass du ihm noch nie etwas Erotisches vorgelesen hast?“ möchte er wissen. Geknickt drücke ich das Kissen gegen mein Gesicht und nicke dahinter. Ich vermute mal, das zustimmende Nicken kann Malik nur erahnen. „Verstehe, Ka. Das erklärt seine … Reaktion.“
Verdammt und zugenäht. „Das tut mir so unendlich leid, Malik“, nuschle ich nach wie vor hinter dem Kissen versteckt. „Wenn ich gewußt hätte, was dieses Vorlesen hervorruft, hätte ich das beim Buchtreffen nie und nimmer gemacht.“ Ich nehme das Kissen herunter und schaue Malik an der mit einem dicken Lächeln erwidert: „Das war es mir allemal wert, Ka. Eines sage ich dir, wenn du Hektor vorliest, möchte ich unbedingt Mäuschen spielen. Noch besser, du lädst mich ein damit mir ein weiteres Mal fast die Sicherungen durchbrennen.“ Lachend werfe ich das Kissen nach ihm, welches er geschickt mit der rechten Hand auffängt. Habe ich schon mal erwähnt, wie sehr ich den Kerl mag. Er ist wie ein großer Bruder und ich genieße sowohl unsere Gespräche als auch unsere Kabbeleien.
„Ich würde dich ja einladen, wenn es so weit ist“, setze ich an. Mir wird in diesem Moment mehr als deutlich bewußt, dass Malik der ideale Puffer zwischen meinem Bücherdrache und mir wäre. „… aber ich habe mit Hektor eine Abmachung getroffen, musst du wissen. Er kann bestimmen, wann und wo ich ihm Erotisches vorlese. Wohingegen es an mir liegt, welche erotische Passage ich ihm dann vorlesen werde, was reichlich frustrierend ist. Das kannst du mir glauben.“

Mit einem Mal hallt ein lautes „Ka, wo bist du? Du wolltest doch das Buch erfassen!“, zu uns herauf. Wir sehen uns zeitgleich an und schütteln grinsend unsere Köpfe.
„Dann werde ich mal nach unten gehen und einen bestimmten Drachen beruhigen.“ Mit einem Zwinkern in Maliks Richtung stehe ich auf und verlasse sein Zimmer. Mein Ziel: Die Höhle des Löwen … ähm, ich meinte des Drachen!

© Copyright by Ka, Meine tägliche Dosis, 12. April 2024

Unweigerlich ploppt die Frage auf, was es nur mit Drachen und ihrem Faible für erotische Literatur auf sich hat. In diesem Sinne,

Ka

Cookie Consent mit Real Cookie Banner